Matthias Kramp öffnet die Tür der Ferienwohnung. Kein Geruch nach Linoleum, Kohl und Wofasept kommt uns entgegen. So stelle ich mir, als 1988 in Ostberlin Geborene den Geruch der DDR vor. Stattdessen riecht es nach Holz und Sauberkeit. Auch optisch deutet wenig darauf hin, dass es sich bei dem luftigen Raum um die Küche eines ehemaligen Betriebsferienheims handelt. Die ab 1965 durch das sächsische Kollektiv Schneider erbauten VEB-Ferienanlagen stehen im heutigen Ferienhauspark in den Dünen vom Ostseebad Baabe. Das Meer rauscht nur ein paar Gehminuten entfernt. Trotz der Modernisierung bewahrt das Urlaubsareal die DDR an jeder Ecke. In den Kiefernwäldern des kleinsten Seebads der Ostsee reiht sich Bungalow an Bungalow. Wellplatten überdachen Veranden. Auf dem Waldboden liegen Waschbetonplatten, wie ich sie noch aus dem Garten meiner Oma kenne.
Im Gegensatz zu anderen Ostseebädern entschied sich die Stadt, den gut erhaltenen Naturraum nicht durch Hotelanlagen zu verstellen. Dennoch fielen die meisten älteren Bauten, unter anderem das Strandkino, ein typischer Aluminium-Wellblechbau dem Abriss zum Opfer.
Ostsee auf Antrag
Unter DDR-Bürgern war Rügen das begehrteste Ferienziel. Campingplätze und Unterkünfte quollen über ihren Belegungsgrenzen. Statistisch gesehen konnte jeder Ostdeutsche einmal in zehn Jahren Urlaub auf der größten Insel Deutschlands machen. Noch 1989 wurden 26 Millionen Urlauber auf Rügen gezählt. Der Großteil davon übernachtete in betriebseigenen Ferienheimen für Arbeiter und deren Familien. Einen Platz in einem solchen VEB-Ferienheim gab es ausschließlich gegen Vorlage eines entsprechenden Berechtigungsscheins. Diese Scheine waren rar wie Bohnenkaffee. Lediglich eine von 300 Bewerbungen bekam eine Zusage. Kinder, gewerkschaftliche Leistung, besondere Verdienste oder Schicksalsschläge erhöhen die Chancen auf einen der heiß begehrten Plätze. War diese Hürde geschafft, wurden andere Unbequemlichkeiten liebend gern viel in Kauf genommen. Zehnstündige Autofahrten im Trabi, Urlaub unter Kollegen, Frühstück um acht, Abendessen um halb sechs.
Mauerfall – die „neue Wände“-Zeit
2017 werden die Wände in drei ehemaligen VEB-Ferienanlagen in Baabe eingerissen, andere neu gestrichen. Die sechsköpfige Familie Kramp hat mit dem Umbau und der Renovierung ihrer drei Ferienappartements „Beerenpause“,„Seeschimmer“ und „Wiesendüne“ begonnen. Das aus der Nähe von Chemnitz stammende Ehepaar Kramp, Matthias und Antje Kramp, führt seit 28 Jahren ein Bauunternehmen. Von ihren vier Söhnen sind die ältesten drei als Tischler, Architekt und Wirtschaftswissenschaftler im Familienunternehmen mit eingebunden. Die Eltern von Antje Kramp, studierte Juristin, besaßen nach der Wende eines der Bungalows im Ferienpark. So kam die Idee 2008 weitere zu kaufen und zu Gästewohnungen umzufunktionieren. Acht Jahre später begann die Renovierung. Aus sechs Wohnungen entstehen drei Appartements.
Nicht nur die Raumgröße, auch die Einrichtung der neun Quadratmeter-Zimmer war im Osten sparsam: keine Spülmaschine, kein Fernseher, niedrige Decken, zwei Küchen für sechs Wohnungen und ein Gemeinschaftsraum. Viel verrät die ehemalige Ausstattung darüber, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Vor allem in der Erwartung der Gäste. Mit anderen Urlaubern ein Gemeinschaftsraum teilen? Heute entspannen sich Rügenbesucher lieber unter sich. Kontakt zu den Nachbarn bietet allenfalls die Veranda, auf der Trennwände aus Segeltüchern und Seegras die Privatsphäre schützen. Wer hier herkommt, ob Geschäftsfrau oder Familie, sucht neben einem Hauch DDR-Feeling vor allem seine Ruhe.
Kiefernholz statt PVC
Was erwartet der Urlauber von heute? Schrankwand, Pressspan und PVC-Boden sicher nicht. Nach einigen Testbesuchen stellten sich die heutigen Vorlieben heraus: Natur statt Luxus. „Zelten auf hohem Niveau“, nennt es Matthias Kramp. Die siebenmonatige Umbauphase hat Wirkung gezeigt. Die naturnahe Einrichtung ist aufs Wesentliche reduziert: freie Flächen, warme Farben. Holz statt Plastik. Außen wärmt Lärchenholz, innen Kieferndielen als Hommage an den Wald vor der Tür. Kunstschaum und Kohleofen weichen Fußleistenheizung und ökologischer Dämmung aus Zellulose. Im Schlafzimmer präsentieren die Fenster Ausschnitte der Kiefernstämme und Wiesen wie auf der gerahmten Fotografie einer Waldidylle. Manchmal mit Reh. Trotz des Umbaus verweisen kleine Details auf die Geschichte dieses Ortes. Etwa ein 70er Jahre Holztisch aus Chemnitz oder der alte Speisesaal, der auf dem Gelände überlebt hat.
Die Letzten ihrer Art
Schon als Kind war Antje Kramp in der Ferienanlage. Wenn sie den Speisesaal des Areals betritt, hat sie manchmal den Geruch von roter Grütze und Pudding in der Nase. Das sei es, was viele Urlauber hierherzieht: die Erinnerung an den ersten Ostseeurlaub. Dennoch könnte dieses Stück DDR-Urlaubsarchitektur bald verschwinden. Die drei Bungalows sind im Ferienpark die Letzten, welche noch in ihrer Grundstruktur erhalten sind. Im Bebauungsplan des Ortes Baabe sind sie nicht mehr vorgesehen. Nicht nur drei Gebäude würden somit verschwinden. Auch ein Stück Kindheitserinnerung.