Wie ein gestrandetes Schiffswrack aus Stahl, Glas und Beton ragt die Ostseeperle aus dem Strand von Glowe. "Schön gestrandet" ist auch das Motto des imposanten Restaurants im Norden Rügens. Wir sitzen im ersten Stock. In der „Pearls68“ Bar. Hinter uns beginnt der Kiefernwald. Vor uns, durch die Glasfassaden glitzert von allen Seiten das Meer. Bei klarem Wetter schaut man von einem günstig gestellten Tisch bis zum Kap Arkona. Am Strand ist es an diesem Morgen ruhig. Eine Mutter spielt mit ihrem Kind am Wasser. Außer ihnen und vereinzelten Büscheln Strandhafer ist es noch leer. Im Westen zieht ein Segelboot am Horizont vorbei. Der abendliche Blick auf die untergehende Sonne von hier oben muss atemberaubend sein.
Der Name Ostseeperle scheint nicht ganz zu passen zu dem dreieckigen Gebäude. 2000 erwarb Geschäftsführer Arne Knaak das markante Objekt. Vorher stand es über zehn Jahre leer. Die Scheiben waren eingeschlagen. Das Gebäude heruntergekommen. Die einstige Perle des Schalenbauingenieurs Ulrich Müther, ein Vorzeigebau der DDR, war undicht und feucht. Verwahrlost in einer Zeit, in der alles, was an das ehemalige Regime erinnerte, gemieden oder zumindest skeptisch betrachtet wurde. Sogar der Abriss stand kurz bevor. Aus küstenschutztechnischen Gründen. Küstenschutz. Nicht Künstlerschutz. Letztendlich bewahrte die Gemeinde Glowe das todgeweihte Bauwerk vor dem Verschwinden. Dieses. Andere Mütherbauten konnten ihr Schicksal nicht mehr abwenden. Mindestens vier seiner etwa 19 Rügener Bauten gibt es nicht mehr.
Tellerklirren mischt sich mit zurückhaltender Loungemusik. Heißer Tee dampft auf Edelstahlkannen. Das Frühstücksbuffet ist aufgebaut. Nur mit viel Fantasie kann man sich vorstellen, wie hier zu Ostzeiten Einheimische, Ausflügler und Angereiste Jägerschnitzel oder Wurstgulasch auf ihre Teller luden. Als das Restaurant 1968 eröffnete, befand es sich im Besitz der Konsumgenossenschaft. Selbstbedienung hieß es bis Ende der 80er. Heute kocht Küchenchef Eric Zillmer mediterrane bis regionale Speisen. Zudem gibt es in der hauseigenen Manufaktur selbst gemachtes Eis.
Aus Liebe zu dem Objekt nahm sich der Architekt und Wirtschaftsingenieur Arne Knaak der Ostseeperle an. Den außergewöhnlichen Bau weiter verfallen zu lassen, war für ihn keine Option. Konzept, Entwurf, Planung und Bauleitung stammen aus seiner Feder. Müther selbst besuchte den Bau und beriet bei der Rekonstruktion. Gelegentlich segelte der Übersiebzigjährige mit seinem Zweimaster vor der Küste vorbei. "Er kämpfte um jedes Gebäude", erzählt Knaak. Der handgezeichnete Berechnungsplan für die Dachschale von 1968 liegt noch in seinem Büro.
Der Entschluss dem Gebäude seine ursprüngliche Funktion zurückzugeben, folgte aus der Entscheidung heraus, das Objekt zu retten. Da war es naheliegend, wieder ein Restaurant zu eröffnen. Nach sieben Jahren Kampf mit den Behörden und zweijähriger Bauphase lud die Perle 2009 wieder Gäste in ihr Inneres. 2008 kam ein Neubau mit Appartements und Wellnessbereich hinzu. Die Gäste kommen aus ganz Deutschland. Und dem Ausland. Bis zu fünfzig Mitarbeiter kümmern sich während der Hauptsaison um sie.
Die Sonne steigt. Buntes Licht fällt auf die langen Holztische im ersten Stock. Die Mittagssonne scheint durch die gläserne spitzwinkelige Front. 2015 brachte der Montrealer Künstler mit dem passenden Namen Antonio Vidal Perla ein Glasmosaik auf die oberste Spitze der Glasfassade an. In der Collage aus farbigem Glas verstecken sich Hinweise auf die Entstehungsgeschichte der Ostseeperle: ein Trabizeichen als Symbol der DDR, die Form einer Hyparschale als Markenzeichen des Bauingenieurs Ulrich Müthers, aber auch Glückssymbole und Zeichen der Wiedervereinigung. „Ich ermutige die ausstellenden Künstler gerne, in ihren Werken Bezüge zur Ostseeperle und ihrer Geschichte herzustellen. So entsteht ein fließender Übergang zwischen Architektur und Kunst“, ergänzt Arne Knaak.
Zum Abschluss führt uns der Geschäftsführer durch das Erdgeschoss. Mauerwerke aus abgeklopften Ziegeln einer alten Putbusser Remise bilden die Bar. Trennwände aus Treibholz und Sandsteinböden stellen einen fließenden Übergang zwischen Innen- und Außenbereich her. Vom ersten Stock blicken grellbunte Figuren des Dortmunder Künstlers Maik Mendoza herab. Auf dem Sonnendeck liegen drei Männer im gedrehten Dreieck. „Betriebsyoga“, erklärt Knaak. Entspannung bevor der Ansturm kommt.
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