Die Marina Lauterbach im Biosphärenreservat Südost-Rügen. Mitten im Jachthafen, zwischen windschnittigen weißen Segelbooten, treiben große quadratische Objekte auf Pontons am Steg. Neben ihnen wirken die Jachten winzig wie Spielzeugboote. Diese unbekannten Schwimmobjekte sind Ferienhäuser. Bullaugen und windbewegte Fahnen erinnern an Schiffskörper. Doch die pastellfarbenen Holzfassaden, das geräumige Innere und die großen Terrassen lassen eindeutig auf einen Wohnbereich schließen. Hier wird ein Kindheitstraum wahr. Leben auf einem Hausboot. Das weite Meer vor dem Frühstückstisch. Sich vom Stuhl ins Wasser fallen lassen.
Zugegeben, Schiffe sind die Appartements nicht. Trotzdem hat der Eintretende kurz das Gefühl, losfahren zu können. Der Unterschied zu einer „Festland-Unterkunft“ wird schnell klar. Dieses Haus lebt. Es knarrt und plätschert. Es pfeift und schaukelt unmerklich. „Lichtet denAnker! Setzt die Segel! Auf zu neuen Ufern!“, möchte man rufen. Ist Reisen nicht auch das: der stetige Aufbruch, das Ungebundensein, das Exotische, Abenteuerliche, der direkte Kontakt zur Natur? Ein Haus am Meer kann jeder. Ein Haus auf dem Meer nicht.
Bodenlos glücklich
In unmittelbarer Nachbarschaft stelzen moderne, vierzig Quadratmeter kleine Einzimmerwohnungen knapp zweieinhalb Meter über den Bodden. Große Holzterrassen, weiche Formen, runder Dachfirst. Pflanzen wachsen auf den weiße recycelbaren Kunststoffdächern der „Pfahlhäuser“. Vom Meer aus betrachtet, fügen sich die Dächer am Horizont in die Linie der weißen Jachten ein.
Über 30 Jahren baute der Schleswig-Holsteiner Ingo Jaich Jachthäfen. Sein Sohn Till betreibt heute die Wasserferienwelt und den Hafen in Lauterbach bei Putbus. Neun Marinas an der deutschen Nord- und Ostseeküste gehören der mehrköpfigen Familie Jaich. Die treibenden „Botels“ oder hochbeinigen Häuser sind nicht die einzigen ungewöhnlichen Bauprojekte der Familie. In ihren beiden Rügener Häfen in Lauterbach und Gustow übernachten Urlauber am, auf oder über dem Wasser: in Uferhäusern, Pfahlsuiten oder schwimmenden Ferienwohnungen.
Ein Zimmer Südsee in der Ostsee
Wer steht hinter den drei außergewöhnlichen Projekten? Will man dieser Frage nachgehen, gelangt man zum Greifswalder Architektenbüro Drebing Ehmke. Seit 2003 arbeiten der niedersächsische Architekt Axel Drebing und der Greifswalder Bauingenieur Holger Ehmke zusammen.
„Wir wollten etwas Neues schaffen“, äußert sich Axel Drebing. Die Inspiration für das Unerwartete kommt auch mal von weiter her. „Wir fragten uns: Woran denken Menschen beim Stichwort ‚Traumurlaub‘? So kamen wir auf die strohgedeckten Stelzenhäuser der Südsee. Und die Idee zu den vierzehn Pfahlhäusern entstand.“ Dennoch sollten die Gebäude in die nordische Landschaft passen. Authentisch sein im Rügischen Bodden. „Wir haben versucht, die Südsee in die Ostsee zu übersetzen. Die Sprache des Naturraumes zu übernehmen und fortzusetzen.“
Schlafen am Hafen
Der Naturhafen Gustow. An einer Lagune am südwestlichen Ende der Insel, halb verdeckt vom Schilfrohr blicken vierzehn Uferhäuser auf den südlichen Strelasund. Sie sind, im wahrsten Sinne, nah am Wasser gebaut. So nah, dass die Terrassen über das Wasser ragen. Im Hintergrund der Kiefernwald. Der Sandstrand ist nur wenige Meter entfernt. Vor dem Waldrand heben sich die Gebäude kaum vom Hintergrund ab. Die Architektur verschmilzt mit der Landschaft. Das ist gewollt. Wie ein Chamäleon sollen sich die Fassaden dem umliegenden Wald und der Farbe von Boden und Himmel anpassen. Die Inneneinrichtung ist minimalistisch gehalten. Nichts soll den Urlauber stören. Fernseher gibt es wenige. Und wenn, dann versteckt. Reduzierung und Zurückhaltung geben Farbton und Formsprache an. Nur großflächige Bilder und subtil eingesetzte Designklassiker setzen stilvoll Kontraste. Uhren sucht man stattdessen vergeblich. Der Bezug zur Zeit verschwindet. Urlaub ist schließlich das Gegenteil von Zeit.
www.im-jaich.de
www.drebingehmke.de