Muschelweiß ist die Villa Meeresgruß im Ostseebad Göhren. Hohe Fenster erhellen den kleinen, spartanisch eingerichteten Raum. Ein Aktenschrank, zwei Schreibtische.
Wir sind in dem Büro des Architekten Olaf Neugebauer. Historische Bädervillen erneuern, das ist eine seiner Aufgaben. Viele der herrschaftlichen Jahrhundertwende-Bauten an den Promenaden der Ostseebäder hat der sportliche Mittfünfziger zu neuem Glanz verholfen. Entwürfe zur Sanierung der Göhrener Seebrücke zieren die linke Seite des Büros. Auf der gegenüberliegenden Wand fällt eine fenstergroße Planskizze ins Auge. "Zeichnung aus dem Wohnhaus auf dem Grundstück des Herrn Dr. Weidemann in Binz, 1902“, verrät die Überschrift in Sütterlin. Es zeigt die Villa Aesculap, die der Architekt bis 2003 restaurierte. Die Skizze habe er dort auf dem Dachboden gefunden.
Neue Fassaden für Freia und Frigga
Nur wenige Kilometer entfernt reihen sich strahlend weiß wie eine Perlenkette die Bädervillen an den Strandpromenaden von Binz oder Göhren aneinander. Große Fensterfronten, Erker, Türmchen und geschnitzte Veranden gehören zu ihren Markenzeichen. Die Liste der von dem Rügener Bauingenieur restaurierten, sanierten und umgebauten Villen ist lang. Frigga, Freia, Ruscha, Seerosen, Seefisch oder Sara heißen sie. Meist benannten die Eigentümer ihre Urlaubsdomizile nach nordischen Gottheiten, ihren Ehefrauen, aber auch nach Landschaften oder Kapitänen. Häusernamen überdauern mehrere Generationen, erklärt der Architekt. Den Namen eines Hauses zu ändern, bringe Unglück. Wie bei Schiffen, so der Glaube.
Ein Leben in Meernähe
Olaf Neugebauer ist ein Göhrener Kind. 1962 geboren. Ein Insulaner. Ein Meermensch, der nur schwer länger an Land leben kann. Er erzählt von den Eisschollen im Winter auf der Ostsee, die ihn als Kind begeisterten. Das Meer habe ihn nie losgelassen. Als er 1989 mit Freunden nach Ungarn trampte und sie kurz vor der "grünen Grenze" überlegten, in den Westen zu türmen, machte er einen Rückzieher: „Ich kann nicht gehen, drüben sehe ich meine Insel nicht mehr“, soll er begründet haben.
Neugebauer kennt viele solcher Geschichten über seine Heimatinsel. Von den Fischern und Maurern abends beim Bier. Von der alten Besitzerin des Göhrener Hofs, die durch die Aktion Rose enteignet wurde. Vielleicht liegt es daran, dass er die Geschichten und Seelen der Häuser kennt, die er renoviert, umbaut und saniert, weshalb er sein Handwerk versteht wie kaum ein Zweiter.
Eigentlich wollte der Rüganer zur See. Vielleicht Marineoffizier werden. In die weite Welt. Raus aus der DDR. Immer in der Nähe des Wassers sein. Als ihm dann eine Baufacharbeiter-Lehre mit Abitur in Stralsund angeboten wurde, nahm er trotzdem an. Nach einem Bauwesen-Studium in Wismar und der ersten Arbeit in Rostock, folgte 1990 die Rückkehr nach Göhren. Mit 27 kandidierte er dort, kurz nach seiner Ankunft, als Bürgermeister und verlor um Haaresbreite. Statt Bürgern stattet er nun als Holzgutachter und Architekt Kirchen und alten Villen seinen Besuch ab.
Aus Holz mach Neu
Trotz aller Liebe zum Meer - bei der Sanierung historischer Holzbauten ist das Meer dein Feind. Wasser, wo es nicht sein sollte.
Ein gravierendes Problem alter Villen ist die Feuchtigkeit. Durch das Seeklima steigt sie ins Holz. Durchsetzt Keller und Böden. Der Dachstuhl hingegen bleibt oft gut erhalten. Das Holz, das früher verwendet wurde, sei viel widerstandsfähiger als das Heutige. Geschlagen im Winter, lange gewachsen, langsam getrocknet, erklärt der Fachmann. Er schätzt die Eigenheiten des Alten. Um die Ursprungsfarbe einer Wand herauszufinden, kratzt er sich wie ein Archäologe durch Farbschichten der letzten hundertzwanzig Jahre. Für die artgerechte Sanierung des denkmalgeschützten Hauses Allgäu wurde er ausgezeichnet. Von dessen Charme kann man sich selbst überzeugen. Wie die Binzer Villa von Dr. Weidemann, beherbergt es heute Ferienwohnungen.
Und in Göhren? In Göhren glitzert der Meeresspiegel hell in der Sonne. Das Wasser ruft. „Wenn der Wind ruhig ist, tauche ich. Bei Wellengang gehe ich segeln, bei Sturm surfen. Ist das Wetter angenehm, schwimme ich Langstrecken“, sagt Olaf Neugebauer. Dafür wäre heute ein perfekter Tag.
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